Jonas Zauels.
2022.
Vor dem Beginn des Schreibens steht nicht nur das leere Blatt wie ein Mahnmal vor dem Schriftsteller, sondern zuallererst die Idee, der fixe Gedanke, überhaupt etwas schreiben zu wollen.
Schriftsteller hier nicht im weitesten Sinne gefasst, als jeder, der Schrift her-stellt, sondern als jemand, der einen literarischen Schaffensprozess auszuüben versucht, unabhängig vom Erfolg desselben.
UNSICHERHEITEN
Dies kann den Ursprung in dem Versuch haben, etwas ausdrücken zu wollen, was keinen konkreten Adressaten hat oder nicht an eine konkrete Person gerichtet werden will, obwohl sie möglicherweise gemeint ist. Es kann dem Umstand entspringen, in der gesprochenen Sprache Unsicherheiten zu unterliegen oder das Gefühl zu haben, nicht gehört zu werden.
EIN STILLER BEOBACHTER?
Man sagt, der Schriftsteller sei ein stiller Beobachter des Lebens und der Gesellschaft, jemand, der am Rande steht, möglicherweise im aktiven Geschehen nicht unmittelbar wirkt, sondern es in sich aufsaugt, darüber nachdenkt, um es am Ende in abgeänderter, literarischer Form auf dem Papier zu verewigen. Man könnte demnach zu der Erkenntnis kommen, dass der Schriftsteller eben das aufschreibt, was er im Leben nicht sagen oder erleben kann, die Fantastik, die ihm im Leben möglicherweise entgeht. So schildert Norbert Scheuer das Begehren zu schreiben wie folgt:
Diejenigen, die viel erlebt haben und dicke Wälzer verfassen könnten, schreiben meist nicht. […] Man schreibt eventuell auch aus einer Stille heraus, der man anders nicht mehr entkommt. Vielleicht ist der geheime Grund des Schreibens, dazugehören zu wollen; das heißt, das Schreiben erscheint dem Schreiber als vermeintlicher Ausweg aus einer (sozialen) Abgeschiedenheit.
Norbert Scheuer, Vom Begehren zu schreiben. S. 35. Aus: Von Sprache sprechen II. Die Thomas-Kling-Poetikdozentur – Antrittsvorlesung 2014.
DAS LEERE BLATT
Nach dem Entschluss, überhaupt einen Schreibakt beginnen zu wollen, ist ein großer Faktor die bloße Überwindung, sich eben vor dieses – eingangs erwähnte – leere Blatt zu setzen. Gemeint ist noch nicht die allseits bekannte und viel sezierte Schreibblockade, sondern die reine Überwindung, einen Stuhl zurechtzurücken, das Blatt einzuspannen oder eine neue Datei am Laptop zu erstellen. Ein Akt, der vielleicht mit der Überwindung vergleichbar ist, Sport zu machen oder den Weg ins Fitnessstudio überhaupt erst anzutreten. Quasi der Zeitraum, bevor man den Stift überhaupt ansetzt, um etwas schreiben zu können – oder eben auch nicht.
Die Problematik, diese Hürde zu überwinden, besteht entweder aus Bequemlichkeit, Faulheit oder darin, Angst davor zu haben, sich dem leeren Blatt zu stellen; die Vorstellung daran reicht meist schon aus, den Schritt gar nicht erst in Angriff nehmen zu wollen. Das Schreibgerät, was letztendlich genutzt wird, spielt zwar eine große Rolle für das Ergebnis, ist aber für den Beginn der Textarbeit irrelevant, da die Wahl meist aus einfacher Gewohnheit getroffen wird. Die Gegebenheiten umgekehrt; dass nichts geschrieben werden will, aus bestimmtem Anlass jedoch beispielsweise eine Schreibmaschine mit frisch eingespanntem Blatt vor einem steht, kann zum spontanen Schreiben ohne vorherige Überwindung einladen und diese Hürde überspringen lassen.
DRAUFLOSSCHREIBEN
Abgesehen davon besteht nun das bekannte Problem des leeren Blattes. Ein Phänomen, welches mit verschiedenen Methoden umgangen und bezwungen werden kann. Zum Beispiel durch direktes Drauflosschreiben, ohne nachzudenken, mit der Absicht, es später wieder zu löschen, es vor allem niemandem zu zeigen, erst einmal anfangen, das erste Wort, das einem einfällt, aufschreiben, dann das nächste und das immer nächste, bis man sich in einem Schreibfluss wiederfindet, in einer Geschichte oder Situation, ohne sich daran zu erinnern, wie man dorthin gelangt ist.
Wichtig ist dabei die Offenheit seinen eigenen Ideen gegenüber. Sich den eigenen aufkommenden Gedanken während des Schreibens hinzugeben, kann zu völlig neuen Ideen und Handlungssträngen führen. Sollten vorher schon mehr oder weniger konkrete Ideen für das zu Schreibende existieren, muss man sich auf Variationen oder völlige Veränderungen des Inhalts einlassen können. Auch wenn sich ein Autor schon weit im Voraus die Geschichte, den Plot, die Personen und Beziehungen zusammendenkt, hält der Schreibfluss immer noch Überraschungen bereit, bringt neue Ideen und verwirft alte wieder, da sie in Textform nicht wirken oder im Kontext irrelevant oder unplausibel werden.
SCHREIBBLOCKADEN
Nach dem leeren Blatt und ersten Anläufen, Ideen und Sätzen, die aufs Papier gebracht werden und den euphorischen Anfang einer Geschichte darstellen, kann es zu Schreibblockaden kommen. Auch dafür gibt es mehrere Ursachen; der Schreibfluss wird unterbrochen, es müssen Entscheidungen getroffen werden, die noch unklar sind oder es fehlt schlicht eine zündende Idee. Dass der Schreibfluss unterbrochen wird, kann am Zeitmangel liegen, daran, dass andere Dinge dazwischenkommen, daran, dass man sich am Abend schlafen legt und am nächsten Tag nicht mehr richtig in den Text oder Gedankengang reinkommt oder sich, wie oben erwähnt, nicht erneut überwinden kann, obwohl man das erste leere Blatt schon hinter sich gelassen hat. Denn nach dem ersten leeren Blatt folgen etliche weitere.
Eine Kontinuität beim Schreiben kann eine große Hilfe sein, zum Beispiel eine feste Uhrzeit an jedem Tag ohne Ausnahme, auch wenn es nur wenige Worte sind, die man zustande bringt. Am nächsten Tag sind es vielleicht schon mehr und am übernächsten ist es gleich ein ganzer Absatz. Sollte das Schreiben ins Stocken geraten, weil Entscheidungen getroffen werden müssen, so ist das sicherlich kein seltenes Problem. Fast jeder wird schon eine geniale Romanidee gehabt haben, die jedoch bei der ersten kleineren Entscheidung ins Straucheln kommt. Denn mit jeder Entscheidung wird das Werk konkreter und somit kann aus einer guten Idee eine schlechte Umsetzung werden. Was passiert mit den Protagonisten, was mit den Nebenfiguren, wenn eine Beziehung entsteht, wohin wird sie führen und wie komme ich zu einem sinnvollen Ende.
Entscheidungen müssen beim Schreiben entworfen, getroffen und widerrufen werden, um in der Story voran- und zu einem interessanten Ergebnis zu kommen. Das Problem der ausbleibenden zündenden Idee ist entweder ein grundsätzliches oder ein – mehr oder minder – eingebildetes. Fehlt es also der Geschichte grundsätzlich an Inhalt oder existiert zumindest eine Grundidee, die es inhaltlich oder auch sprachlich auszubauen gilt? Ein Text kann auf verschiedene Weisen interessant sein, durch den Inhalt, die besondere Sprache oder ein außergewöhnliches Thema. Im besten Fall ist er eine gesunde Kombination aus allem.
BERECHTIGUNG DER EIGENEN WORTE
Sind alle aufgeführten Hürden überwunden, hängt es davon ab, dranzubleiben, den Mut nicht zu verlieren, Durchhaltevermögen zu beweisen und die Berechtigung der eigenen Worte vorauszusetzen und anzuerkennen.
Ein literarisches Werk kann zwar aus einer Laune heraus begonnen werden, es zu Ende zu bringen, erfordert jedoch Disziplin, schlaflose Nächte und die Hingabe, wie zu einer frischen Liebe.